Über Kopfkino, Flexibilität und eigene Grenzen
„Hast Du schonmal Yoga probiert?“, heißt es mittlerweile in bayrischen Kleinstädten, wenn jemand von Rückenschmerzen oder Burn-Out erzählt. Jeder tut es. Martina geht zum Hot Yoga, Jochen zur Mantra-Stunde. Für jeden Geschmack ein passendes Angebot.
Wenn man aber Martina fragt, weshalb Sie zum Yoga geht, wird Sie dasselbe antworten wie Jochen: Es bringt mir Ruhe und Gelassenheit. Denn Yoga ist so unendlich viel mehr als nur Übungen auf einer Matte.
Ein wichtiger Teilaspekt von Yoga ist, dass mit einer regelmäßigen Praxis die Gedanken nicht mehr ganz so unkontrolliert und negativ durch den Kopf schwirren.
Mit Yoga im Augenblick
ankern
In den Yoga Sutras von Pantjali, DER Pflichtlektüre aller Yogis, lautet der erste Satz “ atha yogânuåâsanam „, übersetzt: „Jetzt ist Yoga/ Hier beginnt Yoga“.Warum ist dies der erste Satz? Weil er zusammenfasst, was Yoga ist: Sein im hier & jetzt.
Unser tägliches Leben besteht aus einer Zeitschiene. Wir fahren gedanklich auf dieser nach vorne (Zukunft) und hinten (Vergangenheit).
„Morgen muss ich ins Büro.“
„Gestern hatte ich Streit mit meinem Freund.“
„Was wird aus meinem Leben?“
„Was hab ich alles falsch gemacht!?“
„usw…..
Das hat aber nichts mit Wahrnehmung zu tun. Sich etwas gewahr werden, kann nur in der Gegenwart passieren. Der Herzschlag, eine vorbeifliegender Vogel. Wärmende Sonne im Gesicht. Das ist Wahrnehmung. Und die findet nur im Augenblick statt. Deshalb ist unter anderem die Atmung so zentral während einer Yogaklasse. Sie wirkt wie ein Anker. Das Kopfkino hat dann Pause.
Im Yoga stoppst Du den inneren Monolog, landest im Körper und damit im Hier & Jetzt.

Nur der Augenblick ist wahrnehmbar und wirklich. Und hier ist Yoga ein großartiges Hilfsmittel, um immer wieder zu diesem Augenblick zurückzukehren. Während einer Yogastunde macht Dich ein/e Yogalehrer*in immer wieder auf Deinen Körper aufmerksam und erinnert Dich daran, auf die Atmung zu achten.
Damit wird Yoga zur Übung für das Leben. Yoga findet nicht nur auf der Matte statt. Was wir dort erleben, prägt sich tief in Körper, Geist und Seele ein. Wenn wir im Moment leben und diesen bewusst wahrnehmen, egal ob dieser angenehm ist oder nicht, machen wir Yoga.
atha yogânuåâsanam – Jetzt ist Yoga.
Das eigene Kopfkino stoppen
Ich hab nicht die Absicht, die gesamten Yoga Sutras zu zitieren, aber der zweite Satz ist sozusagen eine weitere tragende Säule des Yoga.
yogaå citta-vëtti-nirodhaï-
Yoga ist das zur Ruhe bringen der Bewegungen des Geistes/des Bewusstseins.
Die Bewegungen des Geistes klingt hölzern. Mir gefällt „Kopfkino“ besser.
Im Kopfkino-Film geht es (siehe oben) meist um drei Dinge: Um gestern oder morgen und darum, was für elende Versager wir sind. Der geistige Konjunktiv-Monolog. Hätte, wäre, würde, könnte…
In den östlichen Philosophien der Grund schlechthin fürs Unglücklich sein. Denn Grübeln über Vergangenes und sich Sorgen um Zukünftiges macht keinen Sinn. Vergangenes kannst Du nicht mehr ändern und die Zukunft nicht voraussagen.
Ein Beispiel:
Stell Dir vor, Du bist am Strand und Du hörst das Meer rauschen und im Gesicht spürst Du den Wind. Die Wahrnehmung vom Meeresrauschen und vom Hauchgefühl des Windes, das ist der aktuelle Moment. Schaltet sich das Kopfkino dazu, hört sich das so an:
- Ach, könnte ich doch immer am Meer leben. Ich hasse meinen Job. Aber ich kann ja nichts besseres. Ich bin …….
- Der Wind ist gerade angenehm, aber bestimmt wird es gleich kühl. Hätte ich meine Jacke mal mitgenommen! Immer bin ich falsch angezogen……
So geht das den ganzen Tag. Anstrengend!
In der Yogastunde sieht das so aus:

Hier an dieser Stelle ein kleines Experiment. Schließ die Augen und hör für einige Sekunden zu, was Du gerade denkst. Just try.

.
.
.
.
.
Ja? Fertig. Was hast Du gedacht? Vielleicht: Was soll ich denn jetzt denken? Oder: Was für eine doofe Übung? Sind Deine Gedanken eher visuell, also mit Bildern verknüpft oder handelt es sich um Wortfetzen?
Jeder Mensch hat eine eigene Art zu denken und ein eigenes Kopfkino-Thema, welches in einer Wiederholungsschlaufe im Gehirn abläuft.
Wer sich nicht damit auseinandersetzt, wird das ganze Leben nicht bemerken, was sich da für ein innerer Dialog abspielt. Ein konstanter Fluss, der oft aus selbstkritischen Gedanken besteht oder davon, dass wir besser sind als andere. Immer wenn dieser Fluss ins Stocken gerät, zum Beispiel beim Betrachten eines Sonnenuntergangs, ist es möglich, ruhig und glücklich zu sein. Ein Versunkensein im Moment.
Yoga und Meditation sind Wege, um diesen Zustand zu erreichen. Besser gesagt, durch eine regelmäßige Praxis lernen wir unsere eigene Gedankenstruktur besser kennen bzw. wahrnehmen und können dann einfach Stopp sagen, wenn wir merken, dass wir in einem gedanklichen Loop festhängen, der uns nirgendwohin führt. Das ist das Magische am Praktizieren. Zu merken, dass man fähig ist, die Gedanken zu lenken und im Endeffekt glücklicher und ausgeglichener zu sein.
Dazu kommen noch die gesundheitlichen Vorteile, wie mehr Kraft und Biegsamkeit.
Yoga und Flexibilität
Ja, ein schönes Thema. Oft wird mir gesagt: Ich bin nicht flexibel genug für Yoga. Da muss ich immer schmunzeln. Denn genau deshalb geht man ja zur Yogaklasse. Kaum jemand ist so beweglich, wie mensch es so auf Sozialen Medien zu Gesicht bekommt. Der Normalsterbliche ist eher starr wie ein Stück Holz. Und surprise: Es wird mit den Jahren nicht besser. Aber viel wichtiger ist, dass es beim Yoga überhaupt nicht nur darum geht, das Bein hinters Ohr zu bekommen. Natürlich ist mehr Flexibilität eine super-angenehme Nebenwirkung, die über einen längeren Zeitraum eintritt. Aber Yoga ist mehr als nur ein Dehnungstraining. Es geht vielmehr um geistige Flexibilität und die fängt genau dort an, wo unser körperliche Biegsamkeit aufhört. Genau in solchen Momenten müssen wir uns mit unseren eigenen Schwächen abfinden und damit, wer wir sind. Darin liegt eine der wichtigsten Lektionen des Yoga.
Ich erinner mich noch ganz genau an eine meiner ersten Yogaklassen. Während ich versucht habe, mich in eine Position regelrecht hineinzuzwängen, kam die Yogalehrerin zu mir und flüsterte mir ein Wort ins Ohr: Demut.
Damals habe ich überhaupt nicht verstanden, was sie von mir wollte. Im Gegenteil. Es hat mich sogar wütend gemacht. Schließlich wollte ich genau wie alle andern sein und sowieso noch besser. Erst später ist mir klar geworden, was genau die Dame mir sagen wollte und was ich selbst, wenn auch in anderen Worten, meinen Yogaschülern zu vermitteln versuche. Es geht um das Anerkennen der eigenen Grenzen. Der Akzeptanz und eben um Demut vor dem eigenen Körper, dem eigenen Selbst. Wir verbeugen uns vor uns selbst und erkennen an, dass es Dinge gibt, die wir (verdammt nochmal) einfach nicht können. Und das ist voll ok!

Yoga und die eigenen Grenzen
Im Zusammenhang mit Flexibilität und Stärke steht auch das Erkennen und der Umgang mit den eigenen Grenzen. Im normalen Leben stoßen wir immer wieder an unsere Schranken, sei es, weil wir Probleme damit haben uns abzugrenzen oder, weil wir die Grenzen anderer überschreiten. Die Yogamatte kann ein Experimentierfeld sein, mithilfe dessen es uns gelingt zu erkennen, wie wir mit unseren eigenen Schwachpunkten umgehen. Gerade in einer anstrengenden Stunde ruhig zu bleiben, sich an Positionen heranzutasten und sich auch mal Ruhe zu gönnen. Ich merke immer, dass meine Yogis verstanden haben, was ich Ihnen sagen will, wenn Sie in die Kindhaltung gehen, weil sie eine Pause brauchen. Das bedeutet, das sie sich selbst erlauben, anders zu sein und nicht mit der Gruppe mitmachen müssen.
Wer hingegen schnell aufgibt kann im Yoga erleben, dass es sich lohnt etwas weiter auszuloten, wo die eigenen Grenzen denn wirklich liegen. Oft wagen wir gar nicht, in eine andere Richtung zu experimentieren, weil wir es uns schlichtweg nicht zutrauen. Im Unterricht kann eine Ermutigung oder eben auch der Einsatz von Gurten oder Yogablöcken die Studenten dazu ermutigen, sich in neue Positionen zu begeben. Und das gibt unglaublich viel Selbstvertrauen und Mut.
Im Grunde genommen geht es bei all dem vor allem darum, einen freundlichen Dialog mit sich selbst zu führen, sich dadurch behutsam an Grenzen heranzutasten, nicht aufzugeben und bei tatsächlichen Einschränkungen Akzeptanz zu üben. Und hier entsteht dann eine Blaupause für das Leben. Was auf der Yogamatte passiert verändert. Es ist eine ganz besondere Art von Lernen. Es beginnt im Körper und legt sich von dort aus in alle Schichten unseres Seins. Ganzheitlich gut.
Wenn das mal nicht verdammt gute Gründe sind, sofort damit anzufangen!
Credits:
Foto 1: Hier
Comic: Emma Correll
Foto: Isabell Winter
Photo by Veri Ivanova on Unsplash
Photo by Anaya Katlego on Unsplash